Die Strukturale Bildungstheorie


Das Modell der Medienbildung von Marotzki und Jörissen (2008) „basiert auf einer strukturalen Bildungstheorie, die Bildungsprozesse als eine Form komplexer, selbstreflexiver Lern- und Orientierungsprozesse versteht“ (ebd., 51). Damit ist die Bildung ein Prozess, in dem das Individuum seine Ansichten von der Welt und sich selbst durch neue Sichtweisen ersetzt. Die Autoren stellen sich hiermit gegen eine Theorie die besagt, dass sich das Individuum, um gebildet zu werden, mit kanonischen Werken der Literatur auseinandersetzen muss.

„Während Lernen im klassischen Verständnis auf die Herstellung von Verfügungswissen abzielt, sind Bildungsprozesse durch Kontextualisierung, Flexibilisierung, Dezentrierung, Pluralisierung von Wissens- und Erfahrungsmustern, also durch die Eröffnung von Unbestimmtheitsräumen gekennzeichnet“ (ebd.)

Informationen, die das Subjekt erhält, müssen somit nicht nur aufgenommen, sondern auch in die eigenen Sichtweisen von Welt und sich selbst integriert werden.
Die Autoren beschreiben neben diesen Aspekten, dass sich unsere Gesellschaft zunehmend in eine Wissensgesellschaft wandelt, da der „Einfluss von Wissenschaft und Technik“ (ebd., 53) immer größer wird und immer mehr Menschen in Berufen tätig sind, in denen die Arbeit mit Wissen im Vordergrund steht. Damit rückt dieses Wissen, neben der Arbeit, dem Kapital und der Natur, immer mehr als ein vierter bedeutender Produktionsfaktor in den Vordergrund.
Der Arbeiter wird somit auch zu einem sogenannten „Wissensarbeiter“ innerhalb einer „Wissensgesellschaft“, dessen Aufgabe es ist, sein hohes Qualifikationsniveau stetig zu erhalten und zu erweitern.
Das Wissen entsteht dabei nicht nur durch die reine Aufnahme von Informationen, es muss dazu noch in Kontexte eingeordnet, bewertet und zum Lösen von Problemen genutzt werden.
Ein weiterer Aspekt einer solchen Wissensgesellschaft bringt mit sich, dass immer mehr Informationen zur Verfügung gestellt werden und damit eine zunehmende Informationsvielfalt entsteht. Dadurch entwickelt sich ein immer größerer Abstand zwischen dem Verfügungs- bzw. Faktenwissen und dem Orientierungswissen des Einzelnen. Damit dieser sich schließlich orientieren kann, muss er gewisse Anforderungen erfüllen, die ich stichpunktartig kurz vorstellen möchte:

Der Mensch muss …
… die Fähigkeit besitzen, „sich innerhalb unübersichtlicher und kontingenter gesellschaftlicher Bedingungen Orientierung zu verschaffen und zu positionieren“ (ebd., 56).
… flexibel in seinen eigenen Handlungs- und Orientierungsmustern sein.
… offen für neue Erfahrungen sein, die für die Entwicklung neuer Handlungs- und Orientierungsmuster reflektiert werden können.
… sich auf Fremdes einlassen und mit Neuem und Unbekanntem umgehen können.

Einen großen Einfluss haben hier die Medien, da sie „neue Anlässe und neue Räume für Bildungserfahrungen und –prozesse“ (ebd., 57) bieten.
Zur Analyse dieser Bildungsprozesse, arbeiten die Autoren vier Orientierungsdimensionen heraus: den Wissensbezug, den Handlungsbezug, den Transzendenz- und Grenzbezug, sowie den Biographiebezug.
Der Wissensbezug behandelt die Verlässlichkeit des zur Verfügung gestellten Wissens. Das Subjekt hat hier die Aufgabe ein „kritisches Sichtverhalten zu den Informationsquellen“ (ebd. 2010, 23) aufzubauen.
Der Handlungsbezug basiert auf der Ethik und Moral des Individuums. Der Mensch muss Verantwortung für sein eigenes Handeln übernehmen und dessen Folgen und Nebenfolgen reflektieren.
Der Grenzbezug umfasst die Grenzen, die die Rationalität des Menschen nicht erfassen kann (vgl. ebd. 2008, 58). Hier ist es die Aufgabe des Subjektes, mit solchen Grenzen, Grenzerfahrungen und Grenzbezügen umgehen zu lernen.
Der Biographiebezug beschäftigt sich mit der Reflexion der eigenen Identität des Individuums. Die in seiner Lebenserfahrung gewonnenen Werte und Normen werden während dieses Prozesses stetig hinterfragt und gefestigt, verändert oder neu gebildet.
Neben diesen vier Orientierungsdimensionen spielt auch der Begriff der medialen Artikulation eine immer wichtigere Rolle, auf den ich im weiteren Verlauf noch einmal genauer eingehen möchte.

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